GESCHICHTEN

Die dunkle Ungewissheit
6. RR, Jahr +12, Frühjahr - Die dunkle Ungewissheit

Die Drachenreiter zogen sich nach der Schlacht und dem kurzen Kennen lernen der Dorfbewohner noch am selben Tag in die Berge auf der Insel zurück, auf ein von Felsen eingerahmtes großes Plateau. Dort befand sich auch ein Höhlensystem, welches von Feuermähne ausfindig gemacht wurde. Das Plateau bot eine gute Basis, da es nur mit der Fähigkeit des Fliegens erreicht werden konnte. Das Schlachtfeld und seine Schrecken von vor wenigen Stunden wurden so gut es ging verdrängt und von der Dunkelheit der aufkommenden Nacht überdeckt.
Das Nachtlager wurde errichtet, wobei einerseits die Höhlen genutzt und andererseits die von den Inselbewohnern überlassenen Zelte aufgebaut wurden. Jetzt, wo die Drachenreiter zur Ruhe kommen konnten, zogen die letzten Ereignisse mit erhöhter Schlagkraft vorm geistigen Auge vorbei. Jetzt war ein wenig Zeit, um die körperlichen und seelischen Wunden zu versorgen.
Goldregen, die ihren Gefährten verloren hatte im Kampf gegen die Kopfgeldjäger, zog sich in sich zurück, blieb aber in Gesellschaft. Ihr Körper war dank der Avariels wieder geheilt, dafür klaffte ein dunkles Loch in ihrer Seele. Nur kurz redete sie darüber mit Federhaar, die selbst erkannte, dass ihre größte Angst war, ihren Gefährten zu verlieren. Später hatte Federhaar eine stumme Rüge von Meydry erhalten, dass sie mit Thane so verliebt tat, während Goldregen daneben saß. Feuermähne machte sich ans Werk, um die einzelnen Höhlen, insbesondere Windblütes, schlafgeeignet zu machen. Er formte den Felsen in einer Höhle als Schlafmulde für Windblüte, die seit der Entführung durch Lyrell nur sehr wenig Schlaf erhalten hatte, zurecht und übergab kurz darauf Windglanz an ihre Ersatzmutter. Turako schien sich ganz besonders um Windblüte Sorgen gemacht zu haben, denn er gönnte sich erst Ruhe, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Windblüte versorgt war.
Ein letzter prüfender Blick über das Plateau auf das Nachtlager erfolgte, bevor sich Stonedusk genau wie Goldregen zurück zog. Doch im Gegensatz zu ihr suchte er die Einsamkeit, wollte die peinliche Situation ihn aufmuntern zu müssen, ihn über seinen Verlust zu helfen, was eh sinnlos war, den anderen ersparen und ihnen die gute Laune mit seiner finsteren Stimmung nicht verderben. Doch zuvor galt es noch etwas zu klären mit Starfire, die ihn viel zu emotionsvoll empfangen hatte, als er mit der anderen Hälfte der Drachenreiter zum Rest gestoßen war. Sie hatte ihn tot geglaubt. Diese Lüge, die aus dem verräterischen Mund von Lyrell stammte, war der Anlass gewesen, dass die Heilerin zur Mörderin geworden war. Starfire hatte das Böse in Lyrell mit ihrer Magie getötet, was nicht sehr angenehm gewesen war und sicher einen weniger brutalen Weg hätte nehmen können. Wie sich später heraus stellte, hatte Lyrell von diesem ‚Eingriff’ mehr zu spüren bekommen, als Starfire geplant hatte. Die vergangenen Ereignisse hatte die Anführerin noch nicht ganz verarbeitet, zu sehr wurde sie von ihren Gefühlen beherrscht, so dass sie Stonedusk darin einweihte. Ihre Gefühle zu ihm gingen über Freundschaft hinaus, was Stonedusk überhaupt nicht gebrauchen konnte. Beide regelten das auf ihre Art, so dass sich an ihrem bisherigen Verhältnis nichts ändern würde. So kümmerten sie sich um sich selbst.
Während der Aufbauarbeiten im Lager hingen die Drachenreiter ihren Gedanken nach, versuchten sich abzulenken oder ließen die letzten Ereignisse noch einmal in aller Ruhe an sich vorbeiziehen. Die Schattenhainler hingegen zogen sich an den Rand des Geschehens zurück. Zwar hatte man sich in zwei Kämpfen gegenseitig geholfen, aber das verbündete doch noch nicht so tief. Dennoch kamen während des Abends genügend Gedanken zusammen, dass es nicht so schlecht wäre, wenn die Schattenhainler bei den Drachenreitern blieben. Ein neuer Stamm, ein neues zu Hause. Doch schon jetzt war klar, dass das ein schwerer Schritt werden würde. Die beiden Dunkelelfen waren nur schwer zu ertragen mit ihrer doch sehr anders gestrickten Ansicht der Welt. Diese bestand zum größten Teil nur mit Kampf und der Rest mit der Vorbereitung oder den Nachwehen eines Kampfes. Auch Tyron würde Schwierigkeiten haben, denn er tat sich schwer damit, Vertrauen zu schenken. Und so zog es den Greifen auch weg in dieser Nacht, die beiden Dunkelelfen blieben ebenfalls ungesehen in den Höhlen.
Amarth hatte festgestellt, dass kaum jemand von ihm Notiz nahm. Sein Schweigen interessierte niemanden. Auch nicht wirklich seine Ausbilderin. Eiskristall hatte versucht, an ihn heran zu kommen. Aber ihr Schüler verschloss sich, so dass sie das Gefühl bekam, nicht mehr gebraucht zu werden. Ihre Mutterrolle nahm sie wohl doch zu sehr in Anspruch, so dass sie ihren anderen Pflichten nicht mehr nachkam mit der gebührenden Hingabe. Einfacher hatte es da Sturmtänzer. Der kümmerte sich um das Seelenheil seiner Schülerin, indem er ihr Geschichten erzählte. Morgendwind hatte ihrer Ansicht nach in der letzten Schlacht versagt, doch das hatte Sturmtänzer bald richtig gestellt. Eiskristall hingegen kam nicht zu Amarth durch, sie selbst wurde dann von Feuermähne abgelenkt, während sich Starfire um Amarth kümmerte. Der junge Elf erhielt ein Lob von der Anführerin, wie gut er sich gegenüber der Dunkelelfe Rhi’zuma gehalten hatte. Beide Dunkelelfen hatten sich auf Amarth gestürzt, ihn als potentielles Opfer für ihre Einschüchterungsspielchen erkoren, wogegen sich Amarth mehr oder weniger hatte behaupten können. Feuermähne geriet über die Trostzusprache für Eiskristall zu eigenen Vorwürfen. Der Elf war der Meinung, die ganze Sache mit Nachtschwarz hätte verhindert werden können, wenn er Windglanz nicht an Lyrell damals übergeben hätte. Natürlich hatte da noch niemand von dem wahren Lyrell etwas ahnen können oder die mörderischen Absichten vorhersehen können. Eiskristall war damals an seiner Seite gewesen und so fragte er, ob auch sie von solchen Vorwürfen geplagt wurde. Beide sahen ihre Schuld und fanden darin eine Gemeinsamkeit, die nur die beiden verband. Darin lag ein gewisser Trost, der sie einander näher brachte.
Hier und dort wurden Überlegungen über das Morgen angestellt. Was würde mit Lyrell nun geschehen und wie ging es mit den Schattenhainlern weiter? Diese und einige andere Fragen sollten am nächsten Morgen geklärt werden. Bis dahin wurde auf unterschiedliche Weise nach Ruhe und Erholung gesucht.
Lyrell hielt es allerdings nicht an einem Ort aus. Die ihm zugeworfenen Blicke gingen ihm zu sehr unter die Haut. So zog er sich in die Höhlen zurück, wo er auf Yuki traf, welcher sich bei Windblüte befand. Ein beinahe vertrautes Bild. Hier Feuermähne und Eiskristall, die Windglanz bei sich hatte, dort Lyrell und Yuki bei Windblüte. Dieses Bild sorgte bei einigen für Magenkrämpfe. Zu frisch waren die Ereignisse in den Erinnerungen der Drachenreiter, die zu Nachtschwarz’ und Darkface Tod geführt hatten.
Doch selbst Yuki zeigte sich irgendwie feindselig gegenüber Lyrell, so zog es diesen weiter zu Morgensonne und wollte sich von dem seine Wunden aus der Schlacht heilen lassen. Genau in diesem Moment sprach Raincalm das kleine Geheimnis von Morgensonne an. Der Heiler hatte sich von Lyrell überreden lassen, die Barriere von Starfire zu ändern, denn angeblich hatte die Anführerin den falschen Geist verschlossen, nachdem Lyrell Nachtschwarz getötet hatte. Und dann hatte Lyrell Windglanz und Windblüte entführt… Morgensonne hatte sich noch zu keinem Gespräch mit Starfire durchringen können, doch das musste alsbald geschehen. Schuldgefühle konnten einem den Geist vernebeln. Lyrell hatte das Zögern des Heilers bemerkt, erkannte die dahinter liegenden Gedanken und verließ beinnahe fluchtartig die Höhle. Er zog sich nun seinerseits zurück und fand sich in Ameeias Höhle wieder. Er nahm ihr das Versprechen ab, dass sie sich um Drake kümmern solle, wenn ihm etwas zustoßen würde. Erschrocken über Lyrells traurige Gedanken, nicht zu wissen, ob er morgen überhaupt noch leben würde, bemerkte Ameeia, wie nahe ihr Lyrells Position ging. Sie wollte den Elfen nicht verlieren.
Starfire war inzwischen einmal mehr an dem Dunkelelfen geraten. Die blutigen Anzeichen ihrer ersten Begegnung – der Kuss - waren von den Avariels bei Kryll, neben den Wunden aus der Schlacht, getilgt worden. Kryll hatte sich von der Stärke und dem Auftreten der Anführerin beeindrucken lassen und wollte ihr erstes Treffen an der Stelle fortsetzen, wo sie unterbrochen worden waren. Und auch diesmal verlief das Zusammentreffen nicht gewaltfrei. Das ging auch gar nicht bei Dunkelelfen und prompt wurde aus dem kleinen Spiel ein Angriff in den Augen der Drachenreiter. Starfire gab rechtzeitig Entwarnung und löste sich von Kryll. Weder kam es zu einem Fellkampf, noch einem Waffenkampf. Wütend darüber und an den alten Stamm denkend zog sich Kryll tiefer in die Höhlen zurück. Zur selben Zeit hatte sich Yuki Windblüte geschnappt, flog mit ihr über das Plateau, was einige aufschreckte und in Alarmbereitschaft versetzte. Doch Yuki wollte Windblüte nur den Sonnenuntergang zeigen. Seine Absichten waren unschuldiger Natur. Dennoch wurden dunkle Gedanken heraufbeschworen, denen sich selbst Starfire diesmal nicht erwehren konnte. Eigentlich hatte sie sich eingehender mit Kryll beschäftigen wollen, dann war da Windblütes blindes Vertrauen zu Yuki, Lyrells Anwesenheit, die jedem einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte, Darkfaces Verlust und die daraus resultierende Veränderung, die in Sonnenfänger vor ging. Diesmal nahm sich die Anführerin die Zeit und sprach über ihre Gedanken und Befürchtungen zu Sturmtänzer.
Nach und nach lösten sich die einzelnen Gruppen von Drachenreitern und Schattenhainler auf. Die meisten legten sich schlafen, gönnten sich die verdiente Ruhe und Erholung. Silverwing hatte sich zusammen mit Raincalm schon früh von den anderen zurückgezogen. All zulange hielt es Silverwing nie in Gesellschaft aus, sie kapselte sich hin und wieder ab. Dass ihr Raincalm gefolgt war, hatte sie nicht bezweckt, schließlich sollte er sich von den anderen nicht wegen ihr auch abschotten. Dass er einfach nur ihre Nähe spüren wollte, musste der Wassermagier ihr erst umständlich klar machen. So verbrachten die beiden den Abend und die Nacht lieber in trauter Zweisamkeit.
Auch Feuermähne beschloss eilig, dass es nun an der Zeit war, sich hinzulegen, nachdem er sich dabei ertappt hatte, wie sehr er sich selbst eine Familie wünschte, angesichts Eiskristalls und Windglanz’ Nähe, welche plötzlich viel zu vertraut wirkte. Um Sonnenfänger musste er sich nicht mehr kümmern, denn der war alt genug inzwischen und war ihm gar einen Schritt was die Gefährtin betraf voraus. Dass die drei ein vollkommenes Bild einer Familie abgaben, war weder Sonnenfänger, noch Stonedusk entgangen. Doch während Sonnenfänger das entsetzt mit eigenem Nachwuchs verband und er deswegen nicht wirklich selbst so eine Familie wollte, stellte Stonedusk hingegen mit finsterem Blick fest, dass es ihm vergönnt war, so auf andere zu wirken. Da sich anscheinend Eiskristall und Feuermähne zusammen zurückziehen wollten, nahm Stonedusk seine Tochter wieder an sich. Eiskristall musste auch mal ihr eigenes Leben führen können – und das schien im Moment Feuermähne einzuschließen. Doch Eiskristall kümmerte sich lieber um Windglanz und blieb zu dessen Überraschung bei Stonedusk.
Sturmtänzer übernahm zusammen mit Starfire, nachdem er erfolgreich Windblüte von Yuki trennen konnte, die Wachschicht. Beide unterhielten sich noch einige Zeit über verschiedene Dinge, die besonders Starfire beschäftigten. Sie gab sich nach außen hin anders, als wie es innerlich in ihr aussah. Sie durfte keine Schwäche zeigen und sich nicht von ihren Gefühlen hinreißen lassen. Das Schicksal der Anführerin.

Ein anfangs noch schöner Traum umfing Sommerregen im Schlaf. Sie ging durch ein festlich geschmücktes Dorf. Überall wo sie hinsah waren freundliche Gesichter, Lachen erfüllte das Dorf. Doch am Ende stand der dunkle Turm, davor hockte Yuki, der sich über Lyrell beugte und hinter ihr tauchte erst Stonedusk auf, dann die restlichen Drachenreiter, die zu einem wütenden Angriff auf Lyrell übergingen. Und ein Unwetter, welches sich über den Bergen angekündigt hatte, entlud sich in voller Stärke über dem Meer.